„Das jüdische Erbe des FC Bayern“

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Die Jahreshauptversammlung des FC Bayern am vergangenen Freitagabend (besser Freitagnachmittag bis Freitagnacht) hatte zwei Höhepunkte: Zum einen natürlich die Wiederwahl des Präsidenten Uli Hoeneß, zum anderen – nein nicht die Bekanntgabe von neuen Rekordzahlen – eine „Mitgliedswortmeldung“ kurz vor Mitternacht. Diese erinnerte die Führungsebene des FC Bayern an die „Vorbildfunktion“ des Vereins, dessen Wertesystem vor allem „Fairness, Menschlichkeit, Zivilcourage und gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein“ verkörpern sollte.

Kein verantwortungsbewusster zivilisierter reflektierender Zeitgenosse bzw. FCB-Fan würde diesen Werten nur im Ansatz widersprechen – so erhielt das vortragende FCB-Mitglied bereits live in der Halle sehr viel Applaus, aber noch wesentlich mehr im Nachlauf in den sozialen Netzwerken.

Dieses Wertesystem wurde mit einigen durchaus nachvollziehbaren (Weihnachts-)Wünschen des Mitglieds ausgefüllt, welche als Forderungen bei der Führungsebene des FC Bayern ankamen.  Die Themen bzw. Forderungen waren alle nicht neu und wurden im abgelaufenen Jahr und davor vielfach medial ausgeschlachtet: Umweltbewusstsein – Stichwort Wegwerfplastikbecher in der AA – ; Kooperation mit der BILD-Zeitung; Wintertrainingslager in Katar. Zum letzten Thema hat sich Petersgradmesser schon im Januar dieses Jahres geäußert https://petersgradmesser.wordpress.com/2016/01/13/katar-trainingslagerdebatte-und-jaehrlich-gruesst-das-murmeltier/

Bei einem „Wunsch“ stockte mir jedoch der Atem, weil er auf einem Mythos und einem – zumindest aus meiner Sicht – abenteuerlichen Zusammenhang basiert: „Ich wünsche mir einen FC Bayern, der weiterhin sein jüdisches Erbe pflegt und schon deshalb Geschäftsbeziehungen in Staaten unterlässt, die unserem Präsidenten Landauer die Einreise verweigert hätten.“

Sorry, liebes Bayernmitglied, diese ebenfalls bestens bekannte Argumentation mag zwar in der Öffentlichkeit gut ankommen, ist aber leider purer Populismus!

Es stimmt zwar, dass unter den Gründungsmitgliedern des FC Bayern am 27. Februar 1900 u.a. die Juden Josef Pollack und Benno Elkan waren. Ebenso sollte allen Bayernfans und –mitgliedern mittlerweile bekannt sein, dass im Verein bis zur Machtergreifung der Nazis viele Juden wichtige Positionen bekleideten und herausragende Arbeit leisteten. Neben Kurt Landauer waren dies u.a. der Stellvertretende Leiter der großen erfolgreichen Nachwuchsabteilung, Otto Albert Beer, und vor allem der 1932er Meistercoach, Richard Dombi. Dass der FC Bayern aber als „Judenclub“ bezeichnet wird, „verdankt“ er den Nazis, welche dies natürlich abfällig gemeint hatten.

Es war übrigens nicht FC Bayern-spezifisch, dass es in den Anfangsjahren des Vereins einen verhältnismäßig hohen Anteil an Juden gab. Dies war in jener Zeit typisch für den Fußball, welcher zu Beginn keineswegs ein Arbeitersport, sondern vielmehr ein Sport der Bourgeoisie und der Intellektuellen war, zu welchen eben vermehrt auch die Juden zählten.

Ich war im Mai 2016 in der Ausstellung „Verehrt – verfolgt – vergessen – die Opfer des Nationalsozialismus beim FC Bayern“ https://fcbayern.com/erlebniswelt/de/ausstellung/wanderausstellung. Zu diesem Anlass fragte ich den Archivar der FC Bayern-Erlebniswelt, Andreas Wittner, wie hoch der Anteil der Juden an der Münchner Stadtbevölkerung und der Anteil der Juden bei den FCB-Vereinsmitgliedern gewesen war. Er meinte, dass der jüdische Anteil an der Stadtbevölkerung in jener Zeit etwas weniger als 2% gewesen wäre, während knapp über 4% der FCB-Mitglieder Juden waren.)* Das bedeutet, dass der FCB bei seinen Mitgliedern einen mehr als doppelt so hohen jüdischen Anteil wie die Stadt München hatte. Aber ich denke, wenn nur jedes 25ste Mitglied Jude war, ist es auch keineswegs angebracht von einem „Judenclub“ oder „jüdischem Erbe“ zu sprechen. Natürlich war das Meister-Duo Landauer / Dombi ein sehr charismatisches und ähnelte wohl gerade bei den Charakteren ziemlich stark dem Duo Hoeneß / Guardiola, auch wenn diese nicht sehr lange Zeit in dieser Kombination zusammen gewirkt haben.

Auch wenn Markwart Herzog in seiner billigen „Spiegel-Kampagne“ (um sein eigenes Buch zu vermarkten) dem FCB-Fan nun ein anderes Bild der Vereinshistorie vermitteln will, indem er vor allem bereits bekannte Fakten ignoriert: Die arischen Mitglieder vor allem der Fußballabteilung des FC Bayern haben ihre jüdischen Freunde und Kameraden ziemlich lange geschützt, länger als dies in vielen anderen Vereinen der Fall war. Vom Naziregime verordnete Vorgaben wurden so spät als nur möglich umgesetzt. Dabei zeigten die FCB-Mitglieder nicht nur Toleranz gegenüber Andersgläubigen, sondern auch in besonderem Maße Zivilcourage, wie es in jener Zeit nicht unbedingt selbstverständlich war. Diese Verhaltensweise brachte dem Verein die verächtliche Nazi-Bezeichnung „Judenclub“ ein.

Dass es wohl eine besondere Beziehung zwischen den jüdischen und andersgläubigen Vereinsmitgliedern gegeben haben musste, bewies die Rückkehr einiger bedeutender jüdischer Mitglieder in den Verein nach dem Krieg: Neben Kurt Landauer waren dies u.a. der Schauspieler und spätere Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, Kurt Horwitz, und Hermann Schülein, bis 1936 Generaldirektor der Löwenbräu-Brauerei in München und später Sponsor.

Der Landauer-Film von Dirk Kämper ist zwar historisch in vielen Passagen – weil Fernsehfilmdrehbuch – unkorrekt (sein Buch über dasselbe Thema nicht), dennoch spiegelt er den Charakter des „bayerischen Sturschädels“ wohl sehr gut wider: Authentisch, gradlinig, aber auch knurrig und schwierig, ein pragmatischer Visionär. Viel mehr Bayer und noch mehr Münchner – Planegg als Geburtsort als „Makel“ sehend 😉  – als (praktizierender) Jude. Selbst Landauer hätte meiner Meinung nach über den Vorschlag des FCB-Mitglieds am Freitag – „…Geschäftsbeziehungen in Staaten unterlässt, die unserem Präsidenten Landauer die Einreise verweigert hätten“ – nur mit dem Kopf geschüttelt. Pragmatisch, wie ich ihn einschätze, hätte er bei der Einreise in Katar gar nicht erwähnt, dass er Jude ist – die Konfession steht in keinem deutschen Reisepass (mehr), und den von den Nazis aufgezwungenen Zusatznamen „Israel“ müsste er heute nicht mehr tragen.

Wenn ein Mitglied des FC Bayern meint, dass Geschäftsbeziehungen zu bzw. Trainingslager in Ländern, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nehmen, zu hinterfragen sind, ist dies sicherlich ein seriöses Anliegen, bei welchem es viele Argumente und Gegenargumente gibt. Ich persönlich halte es jedoch für populistisch und sogar abwegig, wenn dabei die aktuell populäre Nummer „jüdisches Erbe – Landauer“ abgezogen wird. Diese wird eher als „Totschlagargument“ eingesetzt, beweist aber wenig fundierte Kenntnis  über die Bayernhistorie und Kurt Landauer.

 

PS: Das Bild zum Beitrag stammt aus der Club-Zeitung des FC Bayern vom August 1956. Diese weist Kurt Landauer bereits damals als „Ehrenvorsitzenden“ (= Ehrenpräsidenten) des Vereins aus. D.h. dass der FCB ihn auf seiner JHV 2013 nicht postum zum Ehrenpräsidenten ernannt hat, sondern dass er dies bereits – laut Andreas Wittner – seit den 1920er Jahren(!) war.

  1. PS: Der Spiegel verweist darauf, dass die „Vereinsgeschichte um Landauer“ eine vom FC Bayern „ungeliebte“ sei und dass die Vereinsverantwortlichen sie deshalb lieber verschwiegen hätten. Schon die Kurzversion in diesem Beitrag lässt diese These eher als absurd erscheinen – ist es doch viel eher eine Geschichte, auf die ein toleranter Verein sehr stolz sein kann. Anlässlich einer Podiumsdiskussion mit vor allem jüngeren Bayernfans habe ich vor fünf Monaten die Frage gestellt, wer denn von 1962 bis 1979 Bayernpräsident gewesen sei. Handelt es sich doch immerhin auch um einen sehr wichtigen (Ehren)Präsidenten der Vereinshistorie. Nach langem Zögern wusste es einer … Weiter muss ich wohl nicht mehr ausführen… 😉

 

)* Nachtrag 17.04.2018: Nach neuesten Erkenntnissen der FCB-Erlebniswelt / des FCB-Archivars Andreas Wittner waren Anfang der 1930er Jahre ca. 10% der FC Bayern- Mitglieder „Juden“. Und zwar „Juden“ i.S.d. national-sozialistischen Rassenwahns, wonach bereits z.B. ein jüdischer Großelternteil ausreichend war, um als „Jude“ ausgewiesen zu werden. Nach dieser „Nazi-Definition“ waren zu der Zeit 15.000 Münchner „Juden“.

 

2 Kommentare zu „„Das jüdische Erbe des FC Bayern““

  1. Eine schöne, sachliche und daher sehr interessante Ausführung zur Bayern-Historie – findet „El Tren“.

  2. Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, ist der „gefeierte Wortmelder“ auf der JHV ein sehr eifriger Zwitscherer, dessen Tweets nicht selten KHR-Bashing enthalten. Er hat mit seiner Wortmeldung wohl nur Werbung für sich selbst gemacht.

    Was mich ein bisschen betroffen macht, ist die Tatsache, dass ein Twitter-Freak für einen zwar rhetorisch guten, aber ansonsten aus „Schnee von vorgestern“ zusammengesetzten Beitrag derart viel Beifall bekommt.

    Sollte Petersgradmesser die Seiten wechseln und alle 15 Minuten einen fetzigen Tweet raushauen? Ich wüsste schon, wie es geht – nur wäre das gegen alle meine Grundsätze … irgendwie auch BILD-Niveau, welches der Zwitscherer ja so sehr (und scheinheilig) kritisiert…

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